Von Heike Rommel
Zum Karfreitags-Event schlechthin machten der Chor und das Orchester der Ludwigsburger Stadtkirche mit namhaften Solisten die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach. Unter der souveränen Diktion von Caroline Oestreich konnte sich das Publikum getrost der größten gesungenen Geschichte der Welt überlassen und im vertonten Evangelium um die dramatische Kreuzigung Jesu Parallelen zur Gegenwart ziehen.
Die Handlung und eine große tonale Theatralik verliehen dem zweistündigen Bachschen Passions-Drama Kurzweil. Dem Jesus (Thorsten Müller) und dem Pontius Pilatus (Ulrich Wand) waren die Bass-Stimmen wie auf den Leib geschrieben. Müller, Mitglied des SWR-Vokalensembles Stuttgart, ist es von dem Schwetzinger Festspielen und von der Jungen Oper im Staatstheater Stuttgart her gewohnt, sich in Szene zu setzen. Wand, dem Tölzer Knabenchor entwachsen, kann als Solist von Bach-Kantaten ein Lied singen. Der Tenor Joachim Streckfuss mit Faible für Oratorien hatte Ludwigsburg glücklicherweise schon zugesagt, als die zweite Anfrage fürs Passionskonzert in Konstanz kam, wo er auch an der Kammeroper zu Hause ist.
Die berühmte Alt-Arie „Es ist vollbracht” sang Sabine Czinczel, die mit dem Gewandhausorchester schon am Ort der Uraufführung der Johannes-Passion, Nikolaikirche Leipzig, konzertierte. Auch die Sopranistin Johanna Zimmer (SWR-Vokalensemble), singt gerne Rezitative in Messen, wirkte sie doch bei der Deutschen Erstaufführung der „Missa Deo Gratias” von Jean-Pierre Leguay mit.
Unheil verkündend setzte das Orchester zur Gefangennahme Jesu im Garten Gethsemane an. Jesu begab sich mit leidendem, zarten Bass ins Verhör durch den stimmlich härteren Pilatus, der, aufgewiegelt durch die Turba-Chöre, keine Schuld an ihm finden konnte und ihn nicht verurteilen wollte. Musikalisch höchst dramatisch verlief der schauspielerische Prozess, bis sich Pilatus dem Willen des hetzenden Volkes beugte und das Werk in die Tragik der Kreuzigung münden ließ.
Die Choräle der Passion geben Gelegenheit, das Thema in die Gegenwart zu übertragen
Scharf und lang gehalten ertönte der „Kreuzige”-Ruf in schnellen Tempi des Chores. Seinem Aufschrei folgte die Rechtfertigung. Nach dem Gesetz sollte er sterben. „Durch dein Gefängnis Gottes Sohn ist uns die Freiheit kommen,” erfülllte ein Choral die Stadtkirche, der das Publikum zum kollektiven Mitleiden aufrief, in dem Bachs musikalische Kniffe unverkennbar zur Geltung kamen. „Weg, weg mit dem, kreuzige ihn,“ beschworen die Frauen Hexen gleich den Weg auf den Hügel Golgatha und die Entstehung der Kreuzes-Inschrift „Jesus von Nazareth, der Juden König” auf hebräisch, griechisch und lateinisch.
Die Choräle der Johannes-Passion gaben der Zuhörerschaft Gelegenheit, das Thema aus der Vogelperspektive zu betrachten und in die Gegenwart zu übertragen. Der Schlusschoral stellte sie über das Geschehen und schärfte den Bllick für die Intention des christlichen Glaubens im hier und heute.
Das Thema, nämlich der Kontrast zwischem dem aufgebrachten Volk und der völligen Einsamkeit Jesu, ist kein altes. Wer sich der Passion überließ, fand sich schnell im vertonten Mobbing und in einem Johannes Sebastian Bach wieder, der diese Musik im Gottvertrauen schrieb.
Aus: Ludwigsburger Kreiszeitung vom 22. April 2014