Ludwigsburg. Ein paar Basszupfer, ein langer akkordischer Zug am Knopfakkordeon, eine Geigenlinie, Klaviertupfer. Alles im Pianissimo, in das sich fünf Vokalstimmen einfädeln, während sich der gemischte Chor von den Seiten her auf die Bühne unterm Chorbogen begibt. Sanften Schrittes, denn „A la nanitaa nana” ist ein Wiegenlied. Mit einer Handvoll weihnachtlicher Lieder beginnt dieses Konzert des Tango-Ensembles „faux pax” und des Philharmonischen Chors Ludwigsburg in der Erlöserkirche, das sich der saisonalen Routine der Einstimmung aufs Fest entzieht, indem es in einen fernen Kulturkreis versetzt. Die Emotionalität dieser Musik aber schafft eine Erwartung, die adventlicher kaum sein könnte. Das liegt am Instrumentalquartett, das mit dem chromatisch tönenden, obertonreichen Bandoneon als Leitinstrument eine charakteristische, kammermusikalisch intime Stimmung erzeugt, aber auch am bestens vorbereiteten Chor.
Dieser weiß unter der prägnant animierenden und präzise strukturierendenn Leitung von Ulrich Egerer mit den langen Bögen des „Paso luego” und der fröhlich-tänzerischen Hirtenmusik „Vamos pastorcillos“ so sinnfällig umzugehen wie mit dem folkloristischen, rhythmisch eigenwilligen „Esta bella noche”, wo in den harmonischen Wechseln von Dur und Moll im homogenen Gesamtklang nicht zuletzt die Altstimmen klangschön tönen.
Alles läuft dabei auf das Hauptwerk des Abends zu, die „Misa a Buenos Aires”, die sogenannte Tango-Messe von Martín Palmeri, mit der maßgeschneiderten Begleitung des Tango-Quartetts. Wie sehr sich die Musiker das Tango-Idiom einverleibt haben, erweisen drei vor die „Misatango” gesetzte Instrumentalstücke, in denen sich Astor Piazolla, der Pionier des Tango Nuevo, als Leitstern zeigt: Vom Bandoneon geprägte, elegische Melodienentfaltung bietende Klänge, deren melancholische Tönung von eruptiver Leidenschaft und mit dem Balg gerissene rhythmische Schraffuren interpunktiert wird.
Faszinierend ist nun, wie dieser Klang in der Tangomesse prägend bleibt, wie wirkmächtig der Zusammenspiel zwischen dem kleinen Ensemble und dem großen Chor vonstatten geht, wie hier dialogisch musiziert wird. Mit dynamischen Kyrie-Rufen übernimmt zunächst der Chor das Feld und überzeugt mit der spannungsvollen Durchführung der Fuge, einer transparenten Linienführung und einem fein schattierten Klangbild.
Das Credo wiederum ist von packender Dringlichkeit, zu dem sich auch die Sopranistin Karin Schöllhorn mit ihrem farbenreich strömenden, kraftvollen Organ beiträgt. In dieser ganz eigenen Klanglichkeit und deren sinnfälligen Ausführung gewinnt die Musik eine Unmittelbarkeit, die berührt – und auch in ihrem farbigen Grundton absolut weihnachtlich stimmt. Entsprechend dann auch der Beifall.
aus: LKZ vom 18.12.2019, Seite 23. Text von Georg Linsenmann.