aus der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 19. April 2022
Von Harry Schmidt
Ludwigsburg. Zu Lebzeiten hochberühmt, heute eher in Vergessenheit geraten: Dieses Schicksal teilt Gottfried August Homilius (1714-1785) mit nicht wenigen Komponisten seiner Zeit. Dem unmitelbaren Schülerkreis von Johann Sebastian Bach zugerechnet, wirkte der Sachse über vier Jahrzehnte als Kreuzkantor an den Dresdner Hauptkirchen. Ernst Ludwig Gerber kommt in seinem „Historisch biographisches Lexikon der Tonkünstler“ (1790) zu dem Schluss, dass Homilius „ohne Widerrede unser größter Kirchencomponist“ sei.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein erfreuten sich seine Vokalwerke größter Beliebtheit, insbesondere seine Passionskantate „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“. Erheblich zu deren Verbreitung beigetragen hat der Umstand, dass es sich neben „Der Tod Jesu“ von Carl Friedrich Graun seinerzeit, also 1775, um die einzige im Druck vorliegende Passion dieser Art handelte. Dennoch ist sein Werk dann über 150 Jahre lang in der Versenkung verschwunden. Erst nach dem Jahrtausendwechsel kam es zu einer kleinen Homilius-Renaissance.
Klare, uneitle Zeichensprache
Gut gefüllt präsentierte sich das evangelische Gotteshaus zum Karfreitag anlässlich einer Aufführung der großformatigen Kantate durch den Chor der Stadtkirche, das Augsburger Orchester La Banda und ein Solistenquartett unter Leitung von Julian Handlos, der seit Oktober vergangenen Jahres als Kirchenmusiker in Ludwigsburg tätig ist. Zugangsbeschränkungen und Impfstatuskontrollen mögen passé sein, auf Abstand und Maske wollten die meisten Besucher dennoch nicht verzichten. Als Passionsoratorium greift Homilius' großformatige Kantate im Gegensatz etwa zu Bachs Oratorien nicht primär auf biblische Quellen wie Texte der Evangelisten zurück, um die Handlung der Passionsgeschichte zu erzählen. Vielmehr ist das Libretto von Ernst August Buschmann als vielstimmige Reflexion über menschliche Schuld und Gottes Gnade angelegt.
Musikalisch entspricht dieser betrachtenden, verinnerlichten Haltung der Stil der Empfindsamkeit. Durchaus noch dem barocken Formrepertoire verbunden, manifestiert sich darin bereits die Suche nach einem schlichteren, natürlicherem Vokabular, das letztlich zur Wiener Klassik führen sollte. Stimmstark und eindringlich gestalten die 40 Sängerinnen und Sänger des Stadtkirchenchors als eingängige Choräle, mit klarer, uneitler Zeichensprache trägt Handlos dafür Sorge, dass auch in fugierten Passagen wie dem Chor „Israel, hoffe auf den Herrn (Psalm 130: 7-8)“, einem der wenigen vertonten Bibelworte hier, die Übersichtlichkeit nicht abhanden kommt. Mit Miriam Burkhardt (Sopran), Margret Hauser (Alt), Nikolaus Pfannkuch (Tenor) und Lorenz Kauffer (Bass) ansprechend besetzt auch die Solopartien, deren Arien mit anspruchsvollen Koloraturen dem Opernfach nahestehen. So folgt einem barocken Presto des Orchesters mit „Bewaffne dich, Mächtger, mit Schrecken und Grimme“ eine imposante Rachearie, grandios interpretiert durch Pfannkuch. Auch die historisch informierte Lebendigkeit der 16 Musikerinnen und Musiker von La Banda, unterstützt durch Mirjam Laetitia Haag an der Truhenorgel der Stadtkirche und Fabian Wöhrle am Cembalo, hatte maßgeblichen Anteil an dieser ausgesprochen gelungenen Darbietung. Das Publikum dankte mit minutenlangem Applaus.
Anmerkung: Anders als in der obigen Kritik beschrieben, war nicht Nikolaus Pfannkuch der Solo-Tenor, sondern Johannes Mayer. Dies war auch im Programmheft vermerkt.