Artikel in der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 11. April 2023, Seite 5 – Von Dietholf Zerweck
Ludwigsburg. „Nun ist der Herr zur Ruh gebracht“ leitet der Bariton das letzte Rezitativ des Passions-Oratoriums ein, und der Chor antwortet: „Mein Jesu, gute Nacht!” Das Bild des schlafenden Gekreuzigten wird im Schlusschor weitergeführt: „Wir setzen uns mit Tränen nieder” intoniert die Gemeinschaft der Trauernden, und im Mittelteil dieser Tröstungsmusik lässt Bach die Verse seines barocken Textdichters Picander mit fast tänzerischer Leichtigkeit in den achtstimmigen Achteln erklingen:
Ruht, ihr ausgesognen Glieder!
Euer Grab und Leichenstein
Soll dem ängstlichen Gewissen
ein bequemes Ruhekissen
und der Seelen Ruhstatt sein.
Es ist berührend und beeindruckend, wie der Chor der Stadtkirche in Gemeinschaft mit dem Ludwigsburger Motettenchor unter der Leitung von Fabian Wöhrle auch hier noch, nach drei Stunden intensiver Gestaltung, diesen Schluss der „Matthäus-Passion” in die Herzen der Zuhörer singt.
Auch in den Turba-Chören, in denen die kollektiven Äußerungen der Menge in der Leidensgeschichte mitschwingen, herrschen bis zum Schluss lebendige Artikulation und klarer Kontrast. Wie beißend der Spott der Gaffenden auf Golgatha („Hilf dir selber! Bis Du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!”), wie ergriffen das „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen” der Augenzeugen des Erdbebens nach dem dramatischen Bericht des Evangelisten, wie spitzzüngig und rhythmisch präzise der Pharisäer-Chor mit seiner Verleumdung: „Auf dass nicht seine Jünger kommen und stehlen ihn und sagen zu dem Volk: Er ist auferstanden von den Toten.” Die Ausdrucksfähigkeit der über 60 Choristen, auch in den von Wöhrle kontrastreich dirigierten Chorälen, ist bewundernswert.
Eindruckvoll war zudem die Mitwirkung der Gesangsklassen 7 des Marbacher Schiller-Gymnasiums: Ihr Cantus Firmus im Eröffnungschor und beim „Oh Mensch, bewein dein Sünde groß” war so berührend licht wie als Teil der Sopranstimmen in den Chorälen des ersten Teils der „Matthäus-Passion”. Das Orchester der Stadtkirche war das klangfarbige Fundament der Aufführung, bei den nicht weniger als 15 Arien bringt Bach auch konzertierende Soloinstrumente zum Einsatz.
Ganz hervorragend meisterte die Gambinistin Heike Hümmer ihren Solopart in der Bass-Arie „Komm, süßes Kreuz” und der „Geduld”-Arie, in der Johannes Meyer ebenso viel Empathie mit seinem beweglichen, hell timbrierten Tenor zum Ausdruck brachte wie in seiner wunderbar gesungenen Arie „ich will bei meinem Jesu wachen”.
Hier gestaltete Elisabeth Wieland ihren Oboenpart souverän, Sybylle Hermann war für die Sopranistin Johanna Zimmer die leuchtende Flötenstimme in der Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben”, und die beiden Konzertmeisterinnen Benedetta Costantini und Friederike Hess-Gagnon brachten in ihren Soloparts die unterschiedlichen Emotionen ihrer Arienbegleitung zum Ausdruck: Pauline Stöhrs „Erbarme dich” wurde getragen vom bildhaften Tränenstrom dieser Alt-Arie, und Thomas Scharrs markantes „Gebt mir meinen Jesum wieder“ stand im Gegensatz zur klangvollen Geigenkantilene. Der Bariton war zudem auch als Petrus und Pilatus besetzt – hier und in seinen Rezitativen überzeugender als in seinen Bassarien. Kevin Gagnon sang seine Jesus-Partie mit nobler Distanz. Roger Gehrig war ein spannend gestaltender Evangelist. So waren die epischen Längen dieser „Matthäus-Passion” in der bis auf den letzten Platz besetzten Stadtkirche nie langweilig. Der Beifall am Ende der Aufführung war begeistert.