Bönnigheim
Von Georg Linsenmann
Mit Jahrhunderte umgreifenden musikalischen Tröstungen angesichts der Endlichkeit allen Daseins hat der Philharmonische Chor Ludwigsburg zum Totensonntag in der Cyriakuskirche und anlässlich seines 20-jährigen Bestehens eine Stunde der Kirchenmusik gestaltet. Unter dem Motto Agnus Dei kamen dabei vier- bis achtstimmige Chorsätze zu Gehör, die das „Lamm Gottes“-Motiv umkreisten.
Wie eine zauberische Einladung erklang eingangs Peter Wolfs „Musica beata“, die glückliche, die glückverheißende Musik. Eine eingängige, in den Sopranen strahlend aufsteigende Melodie, die offen machte für den ihr eingeschriebenen Auftrag: „Du kleine Melodie, dring in alle Herzen ein, mach die Seele frei.“ Frei auch für die Melancholia, eine gewisse barocke Schwermut, die ja auch eine tiefe Wahrheit birgt. Wie im nicht zweifelsfrei Tomaso Albinoni zugeschriebenen „Adagio“, Ein langsamer, leiser Satz mit immer wieder versetzt einsetzenden Männerstimmen, wobei der Chor mit Hochkonzentration die heikle Klangbalance zu wahren wusste.
Kraftvoll platzierte der Bass in George Bizet „Agnus Dei“ dasa „peccata mundi“ die Sündenlast der Welt, noch mächtiger wirkend durch das wie ein Pianissimo-Hauch gesetzte, Erlösungsbedürftigkeit bekennende „miserere nobis“. Nach kunstvoll verschlungener Linienführung war so das sanft gesetzte, finale „Schenk uns Frieden“ Seelenbalsam. Den Wechselwirkungen von Trauer und Hoffnung gibt sich auch Johannes Brahms in seinem vierstimmigen „Geistlichen Lied” op. 30 hin. EIn langsam schreitender Doppelkanon mit frei durchhörbaren Imitationen der Stimmgruppen, in dem schließlich das Gottvertrauen obsiegt. Fabelhaft, wie spannungsvoll der Chor hier die auf- und abschwingenden Melodiebögen ins Werk setzt. Und tiefe, hoffnungsvolle Gläubigkeit wird in der unter Leitung von Ulrich Egerer grundsätzlichen Tiefenspannung der musikalischen Wiedergabe erlebbar mit Anton Bruckners „Christus factus es.“ Nahtlos fürgen sich punktuelle Expression und Pianissimo-Kontraste: „bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuze“.
Ein reiner Chorsatz für Frauenstimmen in Franz Schuberts Psalmvertonung „Gottes ist mein Hirte“ – und auch sonst ein wenig ein Kontrastprogramm, gerahmt von einem blütenhellen Klaviervor- und -nachspiel, in dem sich Julia Michel-Egerers feinnervige, dienende Mitwirkung zeigen darf.
Wie von einem Fernchor tönt dann vom Altar her „The Lamb” von John Taverner, fein schattiert, sanftmütig und friedvoll wie ein Lamm. Wie von einem geheimnisvoll sich ausbreitenden Raumklang umschlossen fühlen darf sich das zahlreiche Auditorium bei Morten Laudridsen „O magnum mysterium“, als sich der Chor bis über die Mitte hinaus in U-Form platziert. Direkt daran knüpft Ola Gjeilos „Serenity“ an, vom Chor wie aus der Stille geschöpfte Musik präsentiert, von einer Geigenlinie (Hristofor Marinov) überhöht, dann in die Stille zurückführend.
Ein wenig aussingen darf sich der der Chor nach dieser tief anrührenden, spannungsgesättigten Mysterium-Exegese mit dem „Laudate“ von Knut Nystedt. In die Schrecklichkeiten der Gegenwart führt John Rutters „A Ukrainian Prayer“. Und als das von Besinnlichkeit genährte Auditorium aufbrechen will, wird es überrascht – und aus der Ferne des Altars eingefangen von Musica beata, von der „kleinen Melodie“: Vom Glück der Musik, das die Seele freizumachen vermag.