Von Dietholf Zerweck, LKZ vom 20.12.2022
Ludwigsburg. Eine zu Johann Sebastian Bachs „Weinachtsoratorium“ bis auf den letzten Platz gefüllte, festlich geschmückte Stadtkirche: Am 4. Adventssonntag ist nicht nur der Weihnachtsmarkt draußen in vollem Betrieb, auch das Bedürfnis nach Spiritualität und musikalischem Wohllaut ist nach den Entbehrungen der Coronapandemiezeit spürbar stark, und was die Besucher in der Ludwigsburger Stadtkirche zu hören bekommen, erfüllt Herzen und Sinne. Fabian Wöhrle hat sein Orchester der Stadtkirche in kleiner, feiner Besetzung auf Originalklang getrimmt, und die vereinigten Chöre des Stadtkirchenchors und des Ludwigsburger Motettenchors bilden ein homogenes, klangprächtiges Ensemble. Schon beim Eingangschor zur ersten Weihnachtskantate – „Jauchzet, frohlocket!“ – harmonieren Orchester und Chor aufs Schönste, wie im Originaltext aus Bachs Geburtstagskantate für die sächsische Kurfürstin tönen die Pauken und erschallen die Trompeten.
Mit dem Tenor Johannes Kaleschke hat diese Aufführung der ersten drei Weihnachtskantaten einen Evangelisten, der die biblische Weihnachtserzählung sehr textgenau und mit Empathie ausdeutet. Die Altistin Pauline Stöhr gestaltet ihre drei großen Arie mit großem, differenziert eingesetzen Volumen, und Nikolaus Fluck ist nicht nur in seiner berühmten Arie „Großer Herr, o starker König!“,, die von der Trompeterin Karin Stock mit weicher Tongebung veredelt wird, ein mit gestochenen Koloraturen brillierender Bassist. Auch in seinen kommentierenden Rezitativen beleuchtet er das Geschehen mit einfühlsamem Timpre, und im Duett mit der Sopranistin („Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“) ist die Melodie im schönsten Fluss.
Nur schade, dass die Sopranistin Johanna Zimmer in diesen ersten drei Weihnachtskantaten außer einem Choral-Cantus Firmus und ihrem licht strahlenden Engelsgruß („Fürchtet euch nicht!“) nichts weiter zu singen hat – Bachs Vorliebe ist hier eindeutig auf Seiten der Altistin.
Melodische und dynamische Akzente sorgen für Spannung
Herausragend in der Begleitung der Arien ist die Basso-Continuo-Gruppe mit der Cellistin Izumi Fujii, dem Kontrabassisten Soshi Nishimura und Evelyn Laib an der Orgel. Ihre melodischen und dynamischen Akzente sorgen für Spannung und bei zwei Arien lässt Fabian Wöhrle sie, ohne zu dirigieren, ganz kammermusikalisch agieren. Bei Johannes Kaleschkes fast schwerelos gesungenen Koloraturen seiner Tenorarie „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“ ist die Flötistin Heike Nicodemus dazu eine ausdrucksvolle Partnerin, und zur Alt-Arie „Schließe, mein Herze, dies selige Wunder / fest in deinen Glauben ein” spielt der Konzertmeister Alexey Fokin den prägnanten Violinpart. Wie sorgfältig Fabian Wöhrle seine Orchestermitglieder ausgewählt hat, hört man auch in der Hirten-Sinfonia am Beginn der zweiten Weihnachtskantate, mit Ingo Müller und Anke Nevermann (Oboen d'amore) und Maik Hanschmann und Laura Hoeven (Oboen da caccia).
Mit ganz unterchiedlichen Emotionen lässt Wöhrle die Choräle ausgestalten: „Wie soll ich dich enpfangen” mit der Intensität des Gefühls, feurig und dynamisch dagegen „Brich an. o schönes Morgenlicht”, innig das „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall“, innerlich bewegt „Dies hat er alles uns getan.“ und voller Leidenschaft „Seid froh dieweil, dass euer Heil / ist hie ein Gott und auch ein Mensch geboren.” Prachtvoll und in majestätischer Größe dann der Anfangs- und Schlusschor der dritten Weihnachtskantate: „Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen“ klingt alles andere als lallend, dieser Chorklang ist begeisternd. In jener Geburtstagskantate für die Kurfürstin Maria Josepha, die Bach in Teilen für sein Weihnachtsoratorium parodierte, hatte der Text so geheißen: „Blühet ihr Linden, in Sachsen wie Zedern / Schallet mit Waffen und Wagen und Rädern / Singet, ihr Musen, mit völligem Klang!”.