Mit dem bestens disponierten Chor der Stadtkirche, einem Originalklang-Ensemble und einem harmonischen Solistentrio gestaltete Martin Kaleschke Telemanns „Lukas-Passion“ von 1744. Vermutlich war das „Konzert zum Karfreitag“ in der Stadtkirche eine Ludwigsburger Erstaufführung.
Von Harry Schmidt (aus: Ludwigsburger Zeitung vom 2. April 2024)
Ludwigsburg. Mit einem „Konzert zum Karfreitag“ gelang Bezirkskantor Martin Kaleschke mit dem Chor der Stadtkirche, einem neunköpfigen Instrumentalensemble und einem gut harmonierenden Solistentrio eine überaus bemerkenswerte Wiedergabe der „Lukas-Passion“, die Georg Philipp Telemann 1744 in Hamburg aufgeführt hat. Dem Amt des „Director Musices“ der Hansestadt, das Telemann seit 1721 innehatte, war die Komposition neuer Passionsvertonungen obligat, reihum im Wechsel auf Worte der vier Evangelisten: die „Lukas-Passion” von 1744 ist mindestens die dritte, nach anderen Quelle die sechste im Werk des bedeutenden Barockkomponisten. Kurzum: kaum einer der Besucher in der Stadtkirche dürfte diese Musik, die gleichwohl sofort ins Ohr geht, vorher darin gehabt haben – dass dieses außergewöhnliche Kirchenkonzert eine Ludwigsburger Uraufführung war, lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festhalten.
Komplett unzweifelhaft hingegen darf in diesem Fall dieser „Lukas-Passion” vom einer musikalischen Kostbarkeit ersten Ranges die Rede sein: Telemann findet in der Einbettung und Umrankung der Leidensgeschichte Jesu zu gleichermaßen einleuchtenden wie unverbraucht wirkenden musikalischen Formen, ob in den Accompagnato- und Secco-Rezitativen oder in den instrumentalen Intermezzi – von „Dienst nach Plan”, wie der obigen erwähnte Entstehungskontext argwöhnen lassen könnte, keine Spur. Dabei überrascht vor allem die Ökonomie in Instrumentierung und Besetzung: die siebenköpfige Streichergruppe (Johanna Kaleschke, Monika Böhm, Elisa Schape, Felicitas Ohnmacht: Violinen; Amelie Süssmuth: Viola; Dorothea Borth: Cello; Ralf Zeranski: Bass) wird lediglich um Flauto traverso (Eva Bauer) und Oboe (Stefanie Bartsch) ergänzt, wartet aber, von Martin Kaleschke an der Truhenorgel geführt mit einer ungeheuren Mannigfaltigkeit an Klangfarben und -wirkungen auf. Hinzu kommt die wärmere, gedämpfte Tongebung der Instrumente in historischer Bauform, was den Eindruck des Nicht-Alltäglichen weiter steigert.
Ebenfalls erstaunlich ist die Tatsache, dass Telemann sich in dieser Passion auf drei Choräle beschränkt, von denen zwei den Rahmen des Werks bilden, der dritte aber unmittelbar dem ersten Rezitativ folgt. Hier wie in den zahlreichen Turba-Chören zeigte sich der ebenfalls lediglich 31 Sängerinnen und Sänger umfassende Chor der Stadtkirche bestens disponiert und einstudiert: ausgewogen in der Balance der Stimmgruppe und homogen im Unisono, trennscharf in den Fugen, dabei stets rhythmisch präzise, in der Dynamik beweglich und klar in den Konturen – formidabel!
Gleiches gilt für den Tenor Johannes Kaleschke als Evangelist mit ausgezeichneter Artikulation. Caroline Oestreich, die die hohe Sopran-Tessitur ihrer Da-capo-Arien mit Bravour attackiert und die Koloraturen mit geschmackvollen Vokalausgleich gestaltet, und Lennart Faustmann, der mit profundem (wenn auch nicht allzu wendigem) Bass den Jesus-Worten Ausstrahlung verleiht.
Über eine Minute verharrte Kaleschke nach den knapp anderthalb Stunden der Aufführung, bis, zunächst nur schüchtern und ganz vereinzelt, dann sich zu einem Brausen kollektiver Dankbarkeit verstärkend der Beifall einsetzt. Und erst jetzt huscht ein Lächeln über das Gesicht des Bezirkskantors: es ist an diesem an eindringlichen Momenten nicht armen Karfreitagabend dann trotz der wirklich tollen Telemann-Musik vielleicht doch der schönste.